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Harald Hillgärtner
abstract:
Der Dilettant
"Der Dilettant verhält sich zur Kunst, wie der Pfuscher zum Handwerk." (Johann
Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller)
Der Begriff des Dilettanten bezeichnet in seiner ursprünglichen Bedeutung
nichts anderes, als einen Liebhaber der Künste, wobei dieser sich jedoch nicht
allein auf den Kunstgenuss beschränkt, sondern selbst produzierend tätig wird.
Obgleich die im 18. Jahrhundert aus dem Italienischen importierte Vokabel
begriffsgeschichtlich eine wechselhafte Konnotation erfährt, bleibt das
Amateurhafte in einem durchaus pejorativen Sinne dem Begriff beigemengt.
Jemanden als Dilettanten zu bezeichnen, kommt auch in der Gegenwart einer
Beleidigung gleich - dies, obwohl die sich entwickelnde Medientechnik den
Schritt vom Konsumenten zum Produzenten bereits auf einen simplen Tastendruck
reduziert hat.
Die technischen Medien selbst sind im strikten Sinne egalitär. Welche Ausbildung
der 'Tastendrücker' genossen hat, ist den Apparaten gleichgültig.
Medientheoretisch bietet dieser Umstand den willkommenen Anlass, einen
radikalen Paradigmenwechsel einzuläuten. Tim O'Reillys "Web 2.0" ist in einem
gewissen Sinne bereits bei Brecht und Benjamin, bei Enzensberger und Flusser
ebenso wie bei Manovich vorgedacht. Wo Brecht und Benjamin eine eher unbestimmte
egalitäre Wirkung der technischen Medien vermuten, findet sich bei den
anderen der Wechsel vom Konsumenten zum Produzenten ganz ausdrücklich in
der Technizität der Apparate begründet. Ist nun im Zeitalter der technischen
Medien die Ära der Stümper, Pfuscher, Bastler, Knipser, kurz: der Dilettanten,
angebrochen? Vielleicht verhält sich aber auch alles ganz anders: Vielleicht
kassieren die Apparate als programmierte Blackboxen die alte Unterscheidung
zwischen einem professionellen und einem laienhaften Umgang mit ihnen. Je
"besser" man die Apparate beherrscht, desto mehr "funktioniert" man im Sinne der
Apparate. Mit Flusser käme es nämlich darauf an, die Apparate in ihrer
Automatizität zu stören, sie gegen ihre "Gebrauchsanweisung" zu verwenden. Nicht
die intime Kenntnis, sondern der Missbrauch der Geräte wäre mit einem Male das
Spannende und der Dilettant wäre rehabilitiert.
Doch was wäre damit gewonnen, eine (angenommene) neue Wertschätzung des
dilettantischen Mediengebrauchs aus dem technischen Dispositiv abzuleiten?
Solche populären Plattformen wie YouTube und flickr jedenfalls stellen gar nicht
erst die Frage nach der Professionalität der vormaligen Konsumenten. Es werden
keine Maßstäbe vorgegeben, nach denen die Produkte bereits vorab kategorisiert
würden. Stattdessen sind es die Nutzer selbst, die mittels "Top Rated", "Most
Downloaded" oder "Most Popular" darüber abstimmen, was interessant und was
weniger interessant ist. Offen bleibt damit, ob diese Form der
Publikumsabstimmung nicht auch eine Form der Selbstdomestizierung ist.
Vielleicht lässt sich aber auch eine neue Art der kulturellen Dynamik
(Heidenreich) beobachten, die sich einerseits nicht mehr an Marktanteilen
oder an Zuschauerquoten orientieren muss und andererseits die privaten
Medienproduktionen weniger beliebig werden lassen. Ob Domestizierung oder
kulturelle Dynamik: In beiden Fällen wäre das Exzentrische des Dilettantismus'
abgeschafft, da er zu einer legitimen kulturellen Praxis gerinnen würde.
In dieser Hinsicht wäre weniger die kommerzielle Vereinnahmung als die
Selbstregulierung der Nutzer/Produzenten das Problem im Web 2.0. Bliebe also
auch hier einzig die Möglichkeit, solche "Apparate" wie flickr und YouTube gegen
ihre Gebrauchsanweisung zu verwenden, um dem Wärmetod zu entgehen?
bio:
Harald Hillgärtner, geb. 1969
Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Kunstgeschichte und
Psychoanalyse in Frankfurt am Main.
Seit 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte und
Ästhetik der Medien, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft,
Frankfurt am Main.
2006 Abschluss des Dissertationsprojektes "Das Medium als Werkzeug. Plädoyer
für die Rehabilitierung eines abgewerteten Begriffes in der Medientheorie des
Computers".
Forschungsschwerpunkt zu Medientheorie und -ästhetik des Computers.
linx:
www.unbestimmtes.de
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