LifeLogging – Die Datifizierung der eigenen Existenzblase
Als jemand, der nie Tagebuch geführt und nur wenige Fotos aus seinem Leben gesammelt hat, war ich überrascht, mit welchem Aufwand manche Menschen als Teil der Lifelogging-Bewegung versuchen, den Strom ihres Lebens aufzuzeichnen. Dank des technologischen Fortschritts ist es möglich geworden, immer einfacher Daten mittels Sensoren oder Kameras zu erfassen, diese zu speichern und sie mittels Software auswerten zu lassen. Der Unzufriedenheit mit bisherigen Techniken der Archivierung wird im Privaten eine Variante des Big Data-Ansatzes entgegengesetzt.
Was ist das mich so Faszinierende dieser Idee? Ist Lifelogging eine Maßnahme, um das individuelle Leben zu reorganisieren, sich von Überflüssigen zu trennen und es besser zu machen? Solchen neuen Praktiken der Selbstüberwachung bergen offenbar auch Gefahren der Fremdbestimmung, wenn sie von Regierungen und Konzernen instrumentalisiert werden. Der Versuch, das eigene Leben umfassend zu speichern, ist aber auch ein Vorhaben, den Tod zu bannen, das Vergessenwerden zu verhindern. Und die Vision geht bei einigen noch weiter: die erzeugte Datenmenge soll die Basis sein für eine spätere digitale Rekonstruktion des Selbst, also eine Bedingung für die Unsterblichkeit.
Wolfgang Neuhaus, Generalist / Akzerelationist. Journalistische Texte und Essays zu Themen aus der Cyberkultur (Technikphilosophie, neue Technologien, Science Fiction). Langjähriger Mitarbeiter beim „Science Fiction Jahr“ und beim Online-Magazin „Telepolis“. Mitglied bei Tesof e.V. in Berlin, einem gemeinnützigen Verein, der sich in Forschung und Weiterbildung mit den Perspektiven der Technologischen Zivilisation befasst. www.tesof.de
Publikationen: Die Überschreitung der Gegenwart. Science Fiction als evolutionäre Spekulation, Berlin / München 2018; (zus. mit Peter Kempin) Memcosmosis. Eine Meta-Reflexion über die (fiktive) Kommunikation mit künstlicher Intelligenz, in: Michael Görden (Hg.): Das Science Fiction Jahr 2018, Berlin / München 2018