Martin Schmid

binär-barocke Gebetskomplexe
Visueller Vortrag - eine nonlineare Reise durch mögliche und unmögliche Bildwelten

Wir finden uns in einem kapellenartigen Raum wieder. Es handelt sich um das Schaltzentrum des Bordrechners. Ein Gegenstand mit Display, auf dem man die Schriftzüge 'Holy Bibel' erkennen kann, wird ausgestöpselt. Der Stecker findet einen neuen Platz im Unterarm einer Androidin. Auf diese Weise ist es ihr möglich mit dem Rechner der Raumstation zu kommunizieren und diesen zu manipulieren. Neben ihr sitzt eine geklonte Frau. Durch das spezielle Verfahren, das bei ihrer Verdoppelung verwendet wurde, trägt Sie aus Mensch und Alien gekreuzte Gene in sich.

Dieser kurze Ausschnitt aus Alien4 könnte für den Vortrag so grundlegend sein wie der entwendete Brief von E.A. Poe für den Psychoanalytiker Lacan. Wenngleich diese Episode immer im Hintergrund schwelt, werden wir uns von einer anderen Seite annähern, nämlich aus einer speziellen kunstgeschichtlichen und kunsttheoretischen Betrachtung von Binärität und ihren Folgen. Unsere ersten Schritte erfolgen im Barock, nachdem wir aus Asien gekommen sein werden.

Nachträgliche Aussichten:
Im Scheitelpunkt der Falten und Spiegelungen von Binärsimulationen besteht die Möglichkeit eines Logins für ausserpsychoanalytiche Weltengänger, deren Selbstverständnis als Aliens das einer mutierten Monade sein könnte.
Die Romantik als Produktion von nachbarocken Protagonisten in Narrationsgeflechten unterscheidet sich in ihrem Subjektbegriff grundlegend. Wäre diese Subjekthaftigkeit als Alienfunktion verstehbar, die immer schon die Hand an der Schere zum zerschneiden der barocken Himmel hatte?
Digitales als Nonmateriales erfordert ein Hardwarenetz in dem die Null/Eins Schaltungen wirken. Kann man in Entmaterialisierungen, Materialisierungen und Rematerialisierungen ähnliche Codefunktionen erwarten? Inwieweit insistiert Materie? Sind Humanoide materialliter in diesen Bedingungen körperlich anwesenheitsmöglich?

Teaser:
Barocke Gebete und White-generierte Formatierung - Chronologische Malerei und diagrammatische Textur - Digitale Immanenzen: BackUp, Skalierung und Maschinennetz - Digitale und maschinelle Brut - Vektoren/Bitmaps - Comic als popistische Jenseitsfraktur - Rezeptionsraum und rezipierte Geschwürkomplexe - die Opulenz des Visuellen versus der Unsinnlichkeit des Binären - linearer Text/nonlineare Textur - Symmetrie: Spiegel: Fetisch und Simulation - Leibniz' Falten und die alieneske Alternative.

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Martin Schmid; Geboren 1968.

Studium der Ökonomie in Stuttgart/Hohenheim. Ausbildung zum Steinbildhauer. Studium der freien Kunst an der HfbK Hamburg bei Bernhard J. Blume. Dozenturen in Computerästhetik.

Verschiedene Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. im Künstlerhaus Stuttgart; Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen; Contemporary Fine Arts, Berlin; Galerie Daniel Buchholz, Köln.

Mitherausgeber der Kunstzeitschriften 01/60 und Isotrop.

Martin Schmid arbeitet in einer Malereitradtion. Sein Medium ist der Rechner womit er Ausdrucke anfertigt. Diese diagrammhaften Bilder werden raumbezogen appliziert. Seine Arbeit thematisiert u.a. Binärität und neobarocke Phänomene. Er verfasst theo-poetische und narrative Texte.

Martin Schmid lebt und arbeitet in Berlin und Hamburg.